Sachverhalt:
Im vorliegenden Fall befuhr der Kläger mit seinem Pkw mit ca. 10 bis 15 km/h eine Fahrgasse zwischen den Parkflächen eines Baumarktparkplatzes. Dort stieß er mit einem aus einer kreuzenden Fahrspur von links kommenden Pkw des Beklagten zusammen. Die Sicht beider Unfallbeteiligten wurde durch einen Lkw behindert, der in dem Bereich der sich kreuzenden Fahrspuren rechts vor dem Beklagten parkte. Vor dem Zusammenstoß überholte der Beklagte den Lkw mit ca. 25 km/h.
Der Kläger wandte sich daraufhin an die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung, die 50% des Schadens erstattete. Daraufhin reichte er Klage beim Amtsgericht ein, das ihm insgesamt 70% des Schadens zusprach. Die Berufung des Klägers beim Landgericht, mit der er 100 % einklagte, wurde zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Entscheidung nun bestätigt.
Urteilsgründe:
Zunächst stellt der BGH fest, dass die Regeln der StVO grundsätzlich auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz anwendbar sind. Insbesondere ist das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme nach § 1 StVO zu beachten.
Hierzu hat der BGH nun erstmalig entschieden, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO grundsätzlich auf öffentlichen Parkplätzen weder unmittelbar noch mittelbar über § 1 StVO gilt.
Der BGH stellt fest, dass einem Parkplatz mit seinen Parkbuchten und Fahrspuren – vorbehaltlich spezifischer Regelungen – kein Straßencharakter zukommt, da er von jeder Richtung her befahren werden kann. Daran ändern auch Fahrbahnmarkierungen nichts. Zudem ist der Zweck von § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO typischerweise nicht auf Fahrspuren von Parkplätzen zu übertragen, da diese nicht den Verkehrsfluss ermöglichen sollen: Diese sollen vielmehr Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangierräumen schaffen sowie Be- und Entladevorgänge ermöglichen.
Etwas anderes gilt nur, wenn die Fahrspuren „erkennbar“ für Verkehrsteilnehmer vor allem der Zu- und Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen.
Auch der entsprechenden Anwendung von § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO bzw. über Einbeziehung in die Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme nach § 1 StVO erteilt der BGH eine Absage. Er führt hierzu wiederum aus, dass ein Parkplatz eben nicht für eine zügige Fahrweise geeignet ist, da dies der Nutzung durch Fußgänger und den Ein- und Ausparkvorgängen entgegensteht.
Der BGH beurteilt die Fälle des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO anders als die des § 9 Abs. 5 StVO, „Vorsicht beim Rückwärtsfahren“. In einem solchen Fall hatte der BGH (BGH DAR 2016, 197 m. Anm. Engel) die Einbeziehung der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO über § 1 Abs. 2 StVO bejaht.
Schließlich weist der BGH darauf hin, dass es sinnvollerweise auf öffentlich zugänglichen Park-plätzen ohne Straßencharakter nur eine Verständigung über die Vorfahrt geben kann. Auch wenn es in der Praxis hierbei häufig wieder dazu kommt, dass dem von rechts kommenden
Fahrzeugführer die Vorfahrt eingeräumt wird, kann dies nicht als Argument dienen, dass dem von links Kommenden eine höhere Sorgfaltspflicht aufzuerlegen ist.
Bedeutung für die Praxis:
Bei Parkplatzunfällen wird es wie bisher in den meisten Fällen zu einer Haftungsteilung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der Fahrweise der Unfallbeteiligten im Einzelfall kommen.
Für die Praxis ist besonders ratsam, wenn sich Geschädigte auf „rechts vor links“ berufen, möglichst die Gegebenheiten des Unfallortes sehr gut dokumentieren zu lassen, damit ein möglicher Straßencharakter nachgewiesen werden kann.