BFH Urteil (BFH-Urteil II R 13/22): Freibeträge für Enkelkinder
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Urteil (Az. II R 13/22) eine wichtige Entscheidung zur Erbschaftsteuer getroffen. Im Zentrum des Falls stand die Frage, ob ein Enkelkind den höheren Freibetrag von 400.000 € erhalten kann, wenn sein Elternteil vor dem Erbfall auf sein eigenes Erbrecht verzichtet hat. Das Finanzamt hatte dies verneint und nur einen Freibetrag von 200.000 € gewährt. Bis zur nun getroffenen Entscheidung des BFH war diese Frage höchstrichterlich nicht geklärt. Der Kläger zog daher vor Gericht – jedoch ohne Erfolg.
Der Hintergrund des Erbrecht-Falls
Ein Mann erbte von seinem Großvater ein Viertel des Nachlasses. Sein Vater, also der Sohn des Erblassers, hatte jedoch bereits vor Jahren notariell auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet. Damit sollte der Erbgang direkt auf die nächste Generation – also den Enkel – übergehen. Der Kläger argumentierte, dass sein Vater nach § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB zivilrechtlich als „vorverstorben“ gilt. Daher müsse er als „Kind eines verstorbenen Kindes“ eingestuft werden und den höheren Freibetrag von 400.000 € nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG erhalten.
Das Finanzamt hingegen vertrat die Auffassung, dass dem Kläger nur der Freibetrag für Enkelkinder (200.000 €) nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zusteht. Nach einem erfolglosen Einspruchsverfahren klagte der Erbe vor dem Niedersächsischen Finanzgericht. Der BFH wies die Revision jedoch als unbegründet zurück.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs
Der BFH bestätigte die Auffassung des Finanzamts und entschied, dass der Enkel nur den niedrigeren Freibetrag von 200.000 € erhält. Dies begründete er wie folgt:
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- Das Steuerrecht folgt nicht der Fiktion des Zivilrechts:Zwar bestimmt das Zivilrecht (§ 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB), dass der verzichtende Erbe als „vorverstorben“ gilt. Doch das Erbschaftsteuerrecht übernimmt diese Vorversterbensfiktion nicht. Entscheidend ist, ob das Elternteil tatsächlich verstorben ist – was hier nicht der Fall war.
- Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig: Der höhere Freibetrag von 400.000 € gilt nur für „Kinder verstorbener Kinder“. Da der Vater des Klägers tatsächlich noch lebte, lag diese Voraussetzung nicht vor.
- Die gesetzgeberische Logik hinter den Freibeträgen: Die Freibeträge im Erbschaftsteuerrecht sind gestaffelt:
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- 500.000 € für Ehegatten und Lebenspartner
- 400.000 € für Kinder und Enkel, deren Eltern verstorben sind
- 200.000 € für Enkel, deren Eltern noch leben
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Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Kinder in der Regel die erste Erbengeneration sind. Falls sie früh versterben, sollen ihre Kinder (die Enkel) steuerlich nicht schlechter gestellt werden. Hat ein Elternteil aber nur auf das Erbrecht verzichtet, bleibt er am Leben und kann weiterhin für seine Kinder sorgen. Deshalb bleibt es beim niedrigeren Freibetrag.
Kein Verstoß gegen das Grundgesetz:
Der Kläger argumentierte, dass die Unterscheidung zwischen tatsächlich und fiktiv verstorbenen Eltern gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) und die Erbrechtsgarantie (Art. 14 GG) verstoße. Das Gericht sah das anders. Nach Auffassung des Gerichts hat der Gesetzgeber bewusst eine Differenzierung zwischen lebenden und verstorbenen Elternteilen getroffen. Ein Verzicht auf das Erbrecht ist eine freiwillige Entscheidung des Verzichtenden, die nicht dieselben steuerlichen Konsequenzen haben muss wie ein tatsächlicher Todesfall. Zudem könnte der verzichtende Vater jederzeit durch Testament bedacht werden und dennoch einen Freibetrag in Höhe von 400.000 € nutzen. Auch aus diesem Grund wäre es nicht sachgerecht den Enkelkindern ebenfalls einen Freibetrag von 400.000 € zuzusprechen; so käme es zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Doppelbegünstigung.
Welche Folgen hat das Urteil für die Nachfolgeplanung und künftige Erbfälle?
Das Urteil des BFH schafft zunächst Klarheit zu einer bisher unklaren Rechtslage. Nunmehr steht fest: ein zivilrechtlicher Erbverzicht ändert nichts an den erbschaftsteuerlichen Freibeträgen. Wer auf sein Erbe verzichtet, gilt gleichwohl steuerrechtlich nicht als verstorben. Enkel können den höheren Freibetrag von 400.000 € daher nur erhalten, wenn ihre Eltern tatsächlich verstorben sind.
Das Urteil muss entsprechend Anwendung finden auf andere Fälle, in denen das Gesetz das Vorversterben fingiert, beispielweise im Falle einer Erbausschlagung des zunächst berufenen Erben (§ 1953 Abs. 2 BGB) oder bei einer Erbunwürdigkeitserklärung (§ 2344 Abs. 2 BGB). Dies zeigt ein weiteres Mal, dass gerade Erbausschlagungen nicht vorschnell als „postmortale Gestaltungsmöglichkeit“ erfolgen sollten, sondern stets sorgfältig darauf zu prüfen sind, ob die gewünschten zivil- und steuerrechtlichen Ziele sich auf diesem Weg tatsächlich erreichen lassen.
Für künftige Nachlassplanungen bedeutet die Entscheidung einmal mehr, dass eine frühzeitige und umsichtige Vermögensnachfolge unerlässlich ist. Möchten vermögende Großeltern ihr Vermögen steueroptimiert an Enkelkinder weitergeben, müssen sie andere Gestaltungswege prüfen – beispielsweise Schenkungen zu Lebzeiten oder individuelle Testamentsgestaltung mit flexiblen Vermächtnisanordnungen.